Nun kommen wir ins Herzstück des Nationalparks, die Schutzzone 1: Hier darf der Mensch wirklich nichts mehr reglementieren, hier herrscht (wieder) die Natur. Wildnis eben, und genau das, wofür wir hergekommen sind. Weiße Seerosen und gelbe Teichrosen bedecken das Wasser, hingetupft wie auf einem Aquarellbild, die Ufer sind wild bewachsen mit Gras und Schilf, dazwischen weiße, gelbe, blaue und rosa-violette Farbakzente.
Volker Engbert zeigt uns geduldig den bittersüßen Nachtschatten, die Schwanenblüte und den Blutweiderich und lässt uns an der Wasserminze schnuppern, die tatsächlich ganz ähnlich wie Pfefferminze duftet. So habe ich schon nach der ersten halben Stunde eine Vielzahl von Pflanzen kennengelernt und außerdem erfahren, dass die Oder-Auen die Ostsee sauber halten: Die üppige Vegetation zieht einen Großteil der Nährstoffe aus dem Wasser, die sich aus dem über 100.000 Quadratmeter großen Einzugsgebiet der Oder angesammelt haben. Zur Ostsee gelangt somit natürlich gereinigtes Wasser, was vor zu viel Algenbewuchs schützt und den Badespaß im Meer sichert. "Flächenfilterfunktion" nennt sich das.
Faszinierend auch das Geheimnis der Krebsschere: Anderswo in Deutschland ist sie bereits existenzbedroht, hier im Unteren Odertal hat sie sich in den letzten Jahren wieder ausgebreitet. Ihre scharfen, nur eine Handbreit übers Wasser ragenden Blätter sind eher unscheinbar, das interessante aber ist: Die Krebsschere schwimmt mitsamt ihren Wurzeln vollständig im Wasser und ist dadurch eine beliebte Nestgrundlage für die Trauerseeschwalbe - eine beeindruckende Symbiose zwischen Pflanzen- und Tierreich.
Mit meiner Begeisterung für solche und andere Besonderheiten dieser Landschaft bin ich nicht allein. Am Picknickplatz etwa auf der Hälfte der Strecke treffen wie eine deutsch-polnische Familie, die ebenfalls über die grüne Wunderwelt an der Oder staunt. Karla (8) und Julian (11) schwärmen mit strahlenden Augen von der Fahrt durch die Wildnis, auf der sie sogar bereits einen Frosch und einen Eisvogel gesehen haben: "Das ist ein echtes Abenteuer!", heißt es da, und: "Das ist alles hier so cool!"